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Warum ich keine ADHS-Patientin sein möchte

  • Katja
  • 17. Juni
  • 4 Min. Lesezeit
Hot air ballons (by Marion, Inns-Web, Innsbruck/Austria via Pixabay)

Vorab: Ich bin mir im Klaren darüber, dass es - zumindest derzeit - eine Berechtigung hat, ADHS als Erkrankung, eigentlich als Störung (Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung) zu deklarieren. Ohne Klassifizierung nach ICD-10 oder ICD-11 ist keine medikamentöse Therapie mit Stimulanzien möglich, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, das leuchtet ein.


Endlich: Die Diagnose - Die Antwort auf alle meine Fragen?

Juni 2023: ich bekomme meine ADHS-Diagnose. Und das noch vor meinem Kind, zu diesem zeitpunkt 1 Jahre alt. Das hat für mich den Vorteil, dass ich den Vorsprung nutzen kann, für Recherche, für die Akzeptanz der Situation und auch, um mir im Klaren darüber zu werden, ob eine medikamentöse Therapie für mich und vor allem für mein Kind in Frage kommt. Sollte mein Kind dieselbe Diagnose erhalten, wovon ich stark ausgehe und sollte eine medikamentöse Behandlung auch eine Option für mein Kind sein. Um zu wissen, wie es sich mit Medikamenten anfühlt und um mitreden zu können. Letztendlich – und das ist Teil meines Erziehungsansatzes – möchte ich bei wichtigen Entscheidungen – vor allem wenn diese mein Kind betreffen – auch mein Kind bei der Entscheidungsfindung mit ins Boot nehmen. Eine Haltung, die - wie sich später herausstellt - von Vorteil ist in der Erziehung eines Kindes mit ADHS.


Leider immer noch in den Köpfen: ADHS als implizites Defizit

Im ICD-11 (International Classification of Diseases; seit 01. Januar 2022 in Kraft) wird ADHS unter dem Schlüssel 6A05 als neuronale Entwicklungsstörung geführt. Die Kategorie der Hyperkinetischen Störungen ist damit entfallen und es wird nicht mehr unterschieden zwischen ADHS und ADS. Nach ICD-10 wurde zwischen ADHS und ADS noch unterschieden, also der Aufmerksamkeitsstörung mit oder ohne Hyperaktivität. Der Einfachheit halber spreche ich von ADHS.


Ich fühle mich nicht krank, ich sehe mich nicht als Patientin

Nun bin ich laut ICD-11 (ICD steht für International Classification of Diseases, 11 ist die Nummer der Revision) also eine Patientin mit ADHS, dabei fühle ich mich gar nicht krank, nur anders. Ich wollte eine Erkärung für mein Anderssein, eine Erklärung dafür, warum ich mich selbst anders sehe als die meisten anderen Menschen und warum das offensichtlich auch meine Umgebung so sieht und mir auf direkte oder indirekte Weise immer wieder wissen ließ und lässt. Ich wollte eine Erklärung, warum ich mich über weite Strecken - bis heute - ausgeschlossen fühle. Was denn so anders war und ist an mir. So anders, dass ich oft die einfachsten und banalsten Dinge nicht hinbekam und -bekomme. Dafür in anderen Aspekten schnell und nahezu perfekt bin. Wie oft hatte ich das Gefühl, den Anforderungen nicht gerecht zu werden; Anforderungen, die noch nicht einmal so außergewöhnlich hoch waren. Die Anforderungen kamen zunächst nur von außen, wurden aber im Laufe der Zeit verinnerlicht und damit zu Anforderungen an mich selbst.


Und wenn es mir dann doch irgendwie gelang, hatte ich oft das Gefühl, es nicht verdient zu haben. Irgend jemand wird mir schon auf die Schliche kommen und mich entlarven (Imposter-Syndrom)). Dann wiederum gelangen mir Dinge und ich wurde von meiner Umgebung bewundernd gefragt: "Wie ist dir das geglückt?" und leider wusste ich es oft selbst nicht wirklich; es ist einfach "passiert" und damit in meinen Augen zufällig, nicht reproduzierbar und nicht in meiner Macht stehend.


Ich war auf der Suche nach einer Erkärung, stattdessen bekomme ich eine Diagnose

Ich wollte eine Erklärung und bekomme eine Diagnose. Na, prima.

Versichernd und gleichzeitig ernüchternd. Warum erst jetzt? Und wie hätte mein Leben vielleicht um Einiges einfacher sein können, hätte ich diese Diagnose schon früher bekommen? Hätte nur eine einzige Person aus meiner Umgebung einen Verdacht gehabt, mir einen Hinweis gegeben ... Trotzdem stört mich der Begriff "Diagnose". Das impliziert, dass mit mir etwas grundsätzlich nicht in Ordnung ist, dass mir etwas fehlt, was andere haben ... das Wort "Defizit" in ADHS (Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung) impliziert, dass mir etwas fehlt. Am Ende die "Störung", das macht das Leid perfekt.


War ich mein Leben lang bis zum heutigen Zeitpunkt nicht eher immer zuviel, zu laut, zu zappelig, zu neugierig, zu offen, zu direkt, zu dominant, zu vorlaut? Werde ich nun konfroniert damit, dass mir etwas fehlt bzw. gestört ist.


Anders sein: Aus der Not eine Tugend machen

Ich sehe mich definitif nicht als "ADHS-Patientin", denn das impliziert, dass ich krank bin und das bin ich nicht. Ich bin anders, schon immer gewesen und werde es immer sein. "Anders sein" ist wertneutral. Wir sind fast 8 Milliarden Menschen, das sollte "anders sein" kein Kunststück sein.


Zu einer Erkrankung bzw. einer Diagnose gehört auch immer ein Leidensdruck. Wie sieht das bei mir aus? Die einfache Antwort: ich habe mich arrangiert. Mit dem Anderssein, mit dem Nicht-Dazugehören. Hat es mir gefallen? Jein. Natürlich möchte man dazugehören; man möchte nicht die Fragenzeichen in den Gesichtern Anderer sehen, wenn man mit einem besondern Lösungsansatz, einer Idee oder einer Vision um die Ecke kommt. Man macht sich ständig kleiner als man ist.,um dazuzugehören. Man lernt, wie andere "ticken", wie sie Lösungen erarbeiten und man passt sich an: nur nicht auffallen. Denn auffallen würde bedeuten nicht dazuzugehören. Nicht besser sein, aber auch nicht schlechter. Einfach in der Menge mitschwimmen. Man maskiert. Und damit schafft man es tatsächlich auch irgendwie ein bisschen dazuzugehören, nicht immer, aber punktuell. Es gelingt immer besser, unauffällig zu bleiben. Aber: Dazuzugehören hat einen hohen Preis: es ist furchtbar anstrengend und unbefriedigend. Und letztlich ist es ein Verrat an sich selbst.


Radikale Akzeptanz

Ich erkenne an, dass es einer Diagnose bedarf um ein Medikament von einem Facharzt verschrieben zu bekommen, selbst wenn ich selbst vielleicht kein Medikament brauche oder möchte. Ohne Diagnose würden ADHS-Betroffene wohl nicht die Möglichkeit haben, ein Medikament aus der Bereich der Stimulanzien verschrieben zu bekommen.


Ich erkenne meine ADHS-Diagnose insofern an, dass sie mich auf dem Weg gebracht hat, mir eine wissenschaftliche Erklärung zu erarbeiten.


Trotzdem gefällt mir der Begriff "ADHS-Patient" überhaupt nicht. Ich möchte auf diesem Blog deshalb von "Menschen mit ADHS", "ADHS-Erfahrene", "ADHSler" oder "ADHS-Betroffene" sprechen. Ich verzichte außerdem im Sinne der Lesbarkeit auf die verschiedenen Genderformen und verwende mal die feminine oder die maskuline Form; trotzdem möchte ich diverse Gender ansprechen.


Dann legen wir mal los!


Am Ende eines Artikels möchte ich euch gerne jeweils eine Frage stellen, um einen Eindruck zu bekommen, wie die Lage ist. Vielleicht habt ihr ja Lust dazu mitzumachen?


Die Frage hier lautet (für diejenigen unter euch, die eine AD(H)S-Diagnose im Erwachsenenalter bekommen haben):



Wie hast du dich kurz nach deiner ADHS-Diagnose (im Erwachsenenalter) gefühlt?

  • Erleichtert, da du endlich Klarheit hattest.

  • Traurig, dein Leben wäre viell einfacher verlaufen.

  • Beides.


Vielen Dank fürs Mitmachen!






 


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